Rauch erfüllt die enge Gasse zwischen. Die
Flachen Häuser sind genauso braun und rau wie der steinige Boden der
schnurgerade bis an den Fuß des Hohen Atlas mit seinen
schneebedeckten Bergen reicht. Knatternd bahnen sich qualmende Mopeds
ihren Weg durch das kaufwillige Gewusel. Gehäutete Ziegen hängen
zwischen Werkzeug und Duschgel. Dazwischen rauchen unzählige
duftenden Gartöpfe auf Holzkohle. Verschleierte Frauen feilschen mit
fliegenden Händlern um die Waren auf dem staubigen Boden.
Jugendliche scharen sich lautstark um einen kleinen Tisch mit
gebrauchten Handys. Alte Männer sitzen in den Cafés entlang der
Gasse. Die Kapuzen ihrer Chilabas weit ins Gesicht gezogen sitzen sie
zeitvergessen, trinken sie Tee begrüßen jeden Neuankömmling mit
Handschlag oder Küssen. Vor allem aber beobachten sie das Treiben und damit die Iron Lady.
Der Bikeshop im nirgendwo
Auf dem dreckgeschwärzten Boden vor Mohammed
liegt mein Hinterrad. Schön säuberlich in Einzelteile zerlegt:
Laufrad, Kugellager, Lagerschalen und die Achse. Nach und nach wird
jedes Teil sorgfältig gereinigt und anschließend gedankenreich
betrachtet. Kurz darauf bringen einige der jugendlichen Azubis neue
Lagerschalen, ein Kugellager und eine Fischdose. Was als kleiner
Wellnesstag vor der letzten großen Etappe begann, ist inzwischen
eine lebensbedrohende Notoperation.
Nach dem ewigen auf und ab dieser Reise
beschleichen mich die ernsthafte Zweifel. Wird dieser hinkende
Zweiradschrauber wirklich in der Lage sein mein Rad zu retten?
Ausgerechnet hier, einen Tag vor ihrem letzten großen Abenteuer
bleibt sie liegen. Mitten im Nirgendwo. Der Hohe Atlas, die Erfüllung
ihres Lebenstraum. Als Mountainbike geboren, zum Reiserad berufen.
Dieses wilde und staubige Gebirge soll endlich zusammen führen was
schon immer zusammen gehörte.
Hier steht sie nun, aufgebockt auf einem verrußten
Holzstumpf. Mein geliebtes Fahrrad sieht ihrem Ende entgegen. Es soll
ihr letztes großes Abenteuer werden. Während ich zittere scheint
die Iron Lady das Drama kalt zu lassen. Trotz des fehlenden
Hinterrads steht sie aufrecht und stolz vor dem Haus. Die ausladenden
Gepäcktaschen leuchten in dieser Welt aus Ruß und Staub wie selten
zuvor. Sie hat allen Grund stolz zu sein. In sechs Jahren ist sie
knappe 20.000 Kilometer in 15 verschiedenen Ländern gefahren,
beladen mit bis zu 40 Kilo Gepäck. Oft genug wurde sie von
Specialized-fahrenden Radexperten in glänzenden Radtrikots und
frisch geputzten 3000-Euro-Fullys als zu alt, zu schwer und zu
schlecht abgetan. So oft wurde ihr erklärt es gäbe keinen Weg und
so oft hat sie trotzdem einen gefunden. Vielleicht waren es die
improvisierten Werkzeuge, vielleicht die Ungeschicklichkeit meines
letzten Mechanikers oder eben doch einfach die vielen tausend
Kilometer. Das Achsgewinde ist Geschichte, das Rad steht still. Ein
Ersatzteil? Für Scheibenbremsen? In Casablanca oder Rabat ja, in
Zeida ganz sicher nicht. Das ist ein Schlag ins Gesicht. Droht nun
das unrühmliche Ende einer langen und erlebnisreichen Reise?
Jungbrunnen Marokko
Noch in Spanien fühlte sie sich ausgelaugt und
alt. Die salzige Meeresluft und die schwere Last setzten ihr zu. Die
Überfahrt nach Marokko aber war ein wahrer Jungbrunnen. In dieser
Altersresidenz für Fahrräder ist sie noch immer der Star. Ob ein
Mountainbike ohne Sattel oder Rennrad ohne Bremsen hier ist alles auf
der Straße. Radläden sind hier noch Radläden, überquellende
Kisten mit uralten Gebrauchtteilen, im Boden festgetretene Schrauben
und Kugeln, Männer in Blaumännern und schwarzen Fingern, die Wände
bis zur Decke geschwärzt. Eine Mischung aus Öl, Ruß funkenden
Metall, liegt in der Luft. Es riecht nach ehrlicher Arbeit, nicht
nach frisch ausgepackten Ersatzteilen. Ich bin in einer Radladen,
nicht in einem Bikeshop. Passendes Werkzeug, nötige Ersatzteile:
Fehlanzeige. Dafür wird die Iron Lady umsorgt mit allen Mittel die
zur Verfügung stehen. Fehlt ein Werkzeug wird ein anderes zurecht
geflext. Fehlt ein Ersatzteil wird es zurecht geflext. Behutsam setzt Mohammed das das Rad Stück für
Stück wieder zusammen. Alles wird gut gefettet und jeder
Arbeitsschritt zuvor ausführlich diskutiert. Ich war schon bei zu
vielen dubiosen Zweiradmechanikern um dem gedrungenen Marokkaner
blind zu vertrauen. Bislang kann ich seinen Schritten ganz gut
folgen, manchmal etwas Nützliches lernen, manchmal etwas
schmerzliches verhindern. Als aber die Fischdose zum Einsatz kommt,
bin ich raus. Inzwischen hat er mich aber auch längst überzeugt.
Zwei oder drei Versuche und Mohammed zaubert wieder ein Gewinde in
die Achse. Vier Leute passen das Rad wieder ein und dann steht die
Iron Lady wieder auf eigenen Rädern.
Die Nacht ist längst hereingebrochen und immer mehr Männer und Kinder versammeln sich um die grelle Laterne der Werkstatt. Zwischen rostigem Metallschrott, öligen Gebrauchtteilen, Dreigang-Rädern und billigen Mountainbikes in vierter Hand erstrahlt die Iron Lady wieder mit ihrem silbernen Rahmen. Dies hier ist ein Altersheim für Fahrräder. Und die Iron Lady ist die Brigitte Bardot.
Natürlich lässt sich Mohammed nun vor
versammelter Mannschaft nicht lumpen. Achter rausziehen, reifen
aufpumpen, Kette ölen, Bremsen justieren. Endlich hat ein Mechaniker
mein Vertrauen gewonnen. Ich genieße es die Iron Lady in seinen
guten Händen zu wissen. Was einmal als Notoperation begann, ist
inzwischen längst wieder ein Wellnesstag.