Ein Land - zwei Welten

Aus Citizens of planet earth


Mein Zug erreicht Sofia. Die ländlichen und dünn bebauten Vororte machen Platz für den wild wuchernden Stadtrand. Wir werden von zwei circa 8-jährigen Jungen begrüßt. Der eine pinkelt mit heruntergelassenen Hosen den Müllberg neben den Gleisen herunter, der andere bewirft den Zug mit eben jenem Müll.
Einige Tage spätersitze ich abermals im Zug. Als ich Sofia Richtung Norden wieder verlasse teile ich mir das Zwischenabteil mit meinem Bike und einem ganzen Dutzend junger Männer, Frauen und natürlich mit Kindern, vielen Kindern. Immer näher rücken meine Mitreisenden an mich heran und immer näher rücken mein Gepäck und ich zusammen. Wild gestikulierend erklären sie mir gemeinsam und lautstark warum mein Rad nicht gut genug ist um damit durch Europa zu fahren, warum es die völlig falsche Zeit ist um in Bulgarien zu sein und weshalb das Ganze sowieso eine blöde Idee ist.
Beide Geschichten sind beispielhaft und haben bleibenden Eindruck hinterlassen: Sie sind laut, ungepflegt und unhöflich. Die meisten haben nie eine Schule von innen gesehen haben und dennoch verfügen sie über das gesamte Wissen der Menschheit. Alleine trifft man sie selten an. Es scheint als ob sie die Öffentlichkeit erst mit ihrer Anwesenheit beehren wenn sie sich zu einem Dutzend versammelt haben. Jede dieser Gruppen bildet eine kleine Welt für sich. Eine lebensfrohe und unbeschwerte Welt. Eine so ganz andere Welt als die in der das restliche Bulgarien lebt. Während der Rest des Landes gierig nach mitteleuropäischem Wohlstand lechzt, geben sie sich mit einem einigermaßen dichten Dach über dem Kopf und einer Dose Bier zum Frühstück zufrieden. Von ehrlicher Arbeit halten sie herzlich wenig. Warum auch, wenn man doch auch mit sammeln, schnorren, betteln oder stehlen über die Runden kommt?
Fragt man einen Ungarn, Rumänen oder Serben, er wird sie als kulturloser Schandfleck der Gesellschaft abtun. Soweit aber würde ich nicht gehen. Vielmehr ist der Müll, der Dreck, das Fluchen, die Besserwisserei, die Gaunereien, die Einfachheit, die Lieder, die Tänze, die Lebensfreude, wie die Melancholie Teil der nicht unbedingt liebenswürdigen, aber doch faszinierend-amüsanten Zigeuner-Kultur ist.