Erstens, kommt es anders, zweitens als man denkt
Es knallt, ich muss anhalten. Kette gerissen und die Hinterradaufhängung gebrochen. Das Ende der Tour scheint näher denn je zuvor. Ich erinnere mich zurück an den letzten deutschsprachigen Bikehaendler und seine warnenden Worte, ich solle genau dieses Teil mitnehmen, denn ich wuerde es nirgendwo auf der Welt bekommen.
Szenenwechsel. Ich sitze am Tresen einer nicht ganz offiziellen, aber gut besuchten Bar im Zentrum von Sofia. Aus den Boxen dröhnt Jimmy Hendrix' "Foxy Lady", links wird Französisch, rechts Bulgarisch gesprochen, Hauptsprache an diesem Abend aber ist Englisch.
Zwischen diesen beiden Momenten liegen nur 36 Stunden und einige weitere Geschichten von schier unglaublicher Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft.
Es beginnt wie so oft mit der Frage nach dem Weg zum Bahnhof. Ich habe keine Aussicht auf eine Lösung meines Problems und plane mit dem Zug nach Sofia zu fahren und von dort aus ab nach Hause (deja vue). Ich treffe auf eine Gruppe Studenten die nicht nur hervorragendes englisch sprechen, einer entpuppt sich gar als erfahrener Downhill-Biker. Meine Bulgarienkarte wird umgedreht und auf der Rückseite werden die die besten Bikeshops des Landes auf der Citymap von Sofia verzeichnet. Ich bedanke mich und in Begleitung eines Mädchens der Gruppe mache ich mich auf in Richtung Bahnhof. Zusammen erreichen wir gegen fünf Uhr nachmittags Sofia.
Dort angekommen glaube ich noch immer nicht recht an eine Fortsetzung meiner Reise. Stattdessen erfrage ich erst einmal sinnvolle Zugverbindungen. Über Nacht nach Belgrad und morgens weiter nach Budapest oder am nächsten Morgen für gut 150 Euro nach Wien. Die Nacht würde ich also auf jeden Fall in Sofia verbringen. Meine Begleiterin wirkt inzwischen etwas genervt. Sie scheint besseres zu tun zu haben als meinen Touristenführer zu spielen. Als ich sie frage wo ich ein günstiges Zimmer finden könne antwortet sie mir etwas harsch und ungeduldig, sie müsse nun erst einmal telefonieren, aber sie kümmere sich darum. Dabei hätte mir doch ein einfacher Fingerzeig in eine Himmelsrichtung genügt. Stattdessen kommt sie wenige Minuten später zurück mit der Einladung auf eine Geburtstagsfeier und der Aussicht auf eine Ausziehcouch.
Nach einem einstündigen Marsch durch das überraschend schöne Stadtzentrum Sofias erreichen wir Desis Wohnung. Sofort werde ich unter die Dusche und meine Kleidung in die Waschmaschine gesteckt. Essen wird aufgewärmt und Bier kaltgestellt. Auf der Couch sitzen drei Fahrradkuriere, so dass die kleinen blauen Punkte auf meinem Stadtplan langsam zu einem dichten Netz werden.
Zusammen mit Geburtstagskind Desi wohnen hier zwei Franzosen, die ihren alten Peugeot gegen einen russischen Militärsanka eingetauscht haben und sich in einigen Wochen aufmachen in Richtung Mongolei. Bis dahin arbeiten sie im IBM-Callcenter in Sofia, schrauben an ihrem Bus und organisieren Visa und die nötigen Formalitäten. Am nächsten Tag aber haben sie frei und somit Zeit den gestrandeten Deutschen durch die Stadt zu führen. Gegen 12 Uhr hat unsere Odyssee Sofias Radsportszene ein erfolgreiches Ende. Gemeinsam verbringen wir den Nachmitag damit unsere Gefährte in Gang zu bringen. Als die Sonne untergeht drehe ich endlich die ersten Proberunden auf meinem Bike. Zur Feier der Tages wartet wieder ein kühles Bier und eine heiße Dusche auf mich. Anschließend tauchen wir ab in das Nachtleben dieser jungen und quirligen Stadt. Wenige Stunden spaeter werde ich Sofia wieder verlassen, natürlich wieder auf zwei Rädern.