Mit dem Fahrrad einfach zum Selbstzweck durch die Gegend fahren? Und dann ausgerechnet durch Albanien? Wo es hier doch nichts gibt außer Landwirtschaft und Wildnis? Immer wieder bekomme ich den gut gemeinten Rat, die B35 bis Cevic und dann weiter über die Autobahn bis zur griechischen Grenze zu fahren. Schon in zwei Tagen wäre ich angekommen und die andere Straße sei unbefahrbar schlecht. Nein, Verständnis werde ich hier keines erfahren für das was ich da mache. Aber auch wenn die Albaner nicht nachvollziehen können was mich reitet, in Albanien über Stock und Stein zu schaukeln, so sind sie doch unglaublich gastfreundlich.
Als ich heute morgen um circa sieben Uhr in einem Cafe sitze sammelt sich binnen weniger Minuten eine Traube von über 20 Schulkindern. Sie finden den Alien auf dem Fahrrad gerade viel interessanter als Mathe- oder gar Englischunterricht. Neugierig begutachten sie mein Bike. Wie immer dauert es nicht lange bis jemand aufgetrieben wird der etwas italienisch spricht. Und dann die selben Fragen wie immer: woher, wohin und warum nur? Nach ein einigen Minuten staubt der Barbesitzer die Horde in die Schule, aber es ist aussichtslos. Kurz darauf trifft der nächste Schulbus ein und das Schauspiel beginnt erneut.
Vom Tempo, das ich in Italien schaffte, habe ich mich längst verabschiedet. Ich kämpfe mich Kilometer für Kilometer vorwärts. Autos oder Roller sind, wenn überhaupt, auf den schlammigen Sandwegen, die in der Karte als mittelgroße Straßen eingezeichnet sind, oft nur geringfügig schneller als ich. Außerdem muss ich regelmäßig anhalten um mich auf einen Kaffee einladen zu lassen oder wieder einmal ein vergilbtes Foto der deutschen Nationalmannschaft zu bewundern.
Auch wenn die Verständigung oft problematisch ist, so wird mir doch jeder Wunsch von den Lippen, oder oftmals vielmehr von den Fingern abgelesen. Den Weg nach Janovice erklären, Schmierfett besorgen, Fahrrad waschen oder einfach im Laden übersetzen? Es ist immer jemand da der einem hilft. Oder als Begleitfahrzeug fungiert. Freilich gäbe es auch eine Menge anderer Dinge zu schreiben. Ich könnte von den verarmten Schafhirten, den sowjetischen Bunkeranlagen und verrosteten Bohrtürmen erzählen oder von den Unmengen an Müll der die albanische Küste säumt. Aber all dies rückt angesichts dieser ungeahnten Gastfreundlichkeit in den Hintergrund. Dem Abenteuer bin ich jetzt ganz eng auf den Fersen...
Albaniens Strassen stellen mein Bike wieder vor neue Herausforderungen, die es aber erstaunlich gut meistert. Das Besorgen von Ersatzteilen läuft hier erwartungsgemäß etwas anders. Auf der Suche nach einer Schraube für meine Kurbel werde ich zu einem dreckigen grünen Verschlag verwiesen. Der etwa 15-jährige Fahrrad-Fachhändler muss zuerst einmal suchen. Nachdem er die zwei Kisten mit Schrauben, Ventilen, Flicken und Speichen durchsucht hat, muss er eingestehen, das Orginal-Shimano-Teil hat er nicht im Angebot. Stattdessen fahre ich jetzt eben mit einer globigen Schraube samt Mutter herum, welche inzwischen ganz gut ins Gesamtbild passt. Die Bremsbeläge werden nicht mehr von einem Stahlstift gehalten, sondern von einem auf beiden Seiten umgebogenen Nagel und mein Gepäckträger basiert auf einer etwas abenteuerlichen, aber stabilen Kabelbinder-Konstruktion. Passend dazu gab es auf der Küstenstraße dann auch endlich den ersten Platten. Ein etwa 10 cm langer Nagel durchstach nicht nur den Mantel und Schlauch, sondern ramponierte auch gleich das Felgenband mit. Da war selbst der verstärkte Smart Guard Mantel machtlos. Aber das war in Albanien wohl nur eine Frage der Zeit.
Es vergingen einige Tage bis ich mich an die neue Situation gewöhnt habe. Die fremde Sprache und Lebensart und die eingeschränkte und verwirrende Infrastruktur brauchten einiges an Gewöhnung. Dazu kam, dass ich nachdem das Ziel Albanien erreicht war, plötzlich etwas orientierungslos war. Zuerst wollte ich an der Adria Richtung Norden, dann in den Kosovo und schließlich doch weiter Richtung Süden. Als ich mein neues Ziel endlich gefunden hatte, nahm ich auch wieder etwas Fahrt auf. Zuerst ging es ca. 30 Kilometer
an der Küste Richtung Süden und dann weiter Richtung Cerik. Auf dem Weg dorthin fahre ich dann zum ersten Mal wieder eine Route, die den Namen Mountainbike-Tour wirklich verdient hat. Einsam schlängle ich mich die steinige Bergstraße hinauf und hinunter. Nun ist wieder ein Weg zu erkennen, ich lasse endlich wieder Kilometer hinter mir, wenn auch deutlich langsamer als zuvor. Es ist schon ein etwas anderes Radfahren. In Italien war ich praktisch ausschließlich auf Asphaltstrassen unterwegs und der Meinung Offroad-Trips wären mit meinem schwer beladenen Bike nur bedingt möglich. Das geländetaugliche Bike schien dort häufig eher eine Behinderung als ein Vorteil zu sein. Das änderte sich hier, als der Asphalt zu Ende war. Rechts und links von mir türmen sich wieder einmal schneebedeckte Berge auf und ich bin gespannt wohin mein Weg mich wohl führen mag.